Es gibt ein Leben vor dem Tod

Reisen und Anderes
Donaukreuzfahrt Vergessen zuzuordnen

Reisegruppentrappeln

Bukarest liegt nicht an der Donau, aber da unsereins nicht wirklich oft in Rumänien ist, will man die Chance zu einem Besuch nützen. Und so haben auch fast alle auf dem Schiff den Ausflug gebucht. Das bedeutet, dass 200 Leute in fünf Busse verfrachtet werden, eine sympathische junge Dame, die gut deutsch spricht und ihren Namen mit „Diamant“ übersetzt (das kann man sich leichter merken) begrüßt uns – und los geht die Fahrt. Eine Stunde fahren wir durch „brettl ebene“ Gegend voller Getreidefelder.

Halt ist dann erst wieder auf einer Tankstelle an der Stadteinfahrt von Bukarest. Wir müssen nicht tanken. Wir wollen auch nichts trinken. Ganz im  Gegenteil! Irgendwie haben die da einen Deal mit dem Tankstellenpächter. In Rumänien darf man nämlich auf Tankstellen für Clogehen nicht kassieren, aber wenn die Leute unbedingt Münzen auf den Teller davor legen wollen, kann man sie ja auch schlecht abhalten davon….oder so. Davor muss man natürlich Schlange stehen. Da keiner so genau weiß, wann die nächste Gelegenheit ist, wollen alle 40 Leutchens Vorsorge betreiben. Die Männer sind wieder einmal bevorzugt, die ziehen zügig an uns vorbei. Erst als sie nicht mehr wollen, nehmen wir auch ihr Kämmerchen in Beschlag. Apropos Kämmerchen. Ich weiß nicht, ob das Zufall war, oder ob man in Rumänien das Wort Clo oder WC wirklich zu umgehen versucht. Jedenfalls sagte unsere Diamant „Porzellanräume“ dazu, der Busbegleiter, der uns vom Flugzeug zum Schiff brachte, sagte „Ort der Erleichterung“ und bei der Donaudeltafahrt kam auch so ein blumiger Begriff vor. Schade, dass ich den vergessen habe.

Und dann wollen fünf Bussladungen durch Bukarest geführt werden. Der Chef der Führungen hat also beschlossen, dass jede Gruppe an einer anderen Stelle anfängt. Wir beginnen im hippen Altstadtviertel. Diamant erzählt, dass Ceaușescu zu Beginn seiner Regentschaft alle enteignet hat und die Häuser dann wahllos mit Menschen vollgestopft hat, die arm waren und keine Chance hatten, die Häuser zu pflegen. Nach seinem Tod wurden die Gebäude den ursprünglichen Besitzern zurück gegeben – so sie noch lebten – allerdings mit hohen Denkmalschutzauflagen. Viele Häuser sind noch immer von der armen Bevölkerung bewohnt, daneben entstehen neue Geschäfte und besonders am Abend ist es DER Treffpunkt der jungen wohlhabenderen Gesellschaftsschicht. Die vielen Tische im Freien sollen am Wochenende bis auf den letzten Platz vor reserviert sein, die Kinder aus den Häusern spielen auf der Straße und das Leben zeigt sich von seiner schönen Seite. – Jetzt am Vormittag ist nichts davon zu spüren. Wir beobachten statt dessen, wie die Restaurants geputzt werden und haben viel Platz um hinauf zu den Häuserfronten zu schauen. Manche sind bereits liebevoll restauriert, bei andern weicht man lieber aus um nicht unter den rissigen Balkönchens durch gehen zu müssen. Ich würde da gerne einen Abend verbringen, oder auch zwei, da sitzen, mit netten Menschen plaudern, die lauen Abende genießen…… aber so lange können wir nicht warten.

Wir bekommen noch so manches Gebäude vorgeführt, imponierend vor allem das Regierungsgebäude das Ceaușescu erbauen ließ und das so riesig ist, dass einem fast die Luft weg bleibt. Besonders, wenn man schon erfahren hat, was dieser Despot und seine verrückte Frau alles angerichtet haben, wie menschenverachtend sie mit „ihrem Volk“ umgegangen sind. Fast schadenfroh macht dann die Information, dass Ceaușescu selbst nie von diesem Gebäude aus eine Rede hielt oder zu seinen Untertanen gewinkt hat. Der erste Mensch, der das jemals tat, war Michael Jackson und der begrüßte die Zuschauermenge mit „Hallo Budapest“. Soll übrigens weder zum ersten noch zum letzten Mal gewesen sein, dass die beiden Städte verwechselt wurden. Eine Fussballmannschaft (oder war es ein anderer Sport – ich hab zu wenig genau aufgepasst) ist sogar schon einmal hier gelandet, obwohl das Spiel in Budapest statt fand.

Stop!! Ich hole zu weit aus. Ich erzähle jetzt nicht mehr, wo wir noch überall waren – in diesem Freiluftmuseum zum Beispiel. Oder beim Mittagessen mit rumänischer Musik und Folklore. Aber im Rückblick wird mir noch deutlicher klar, dass so eine geführte Tour sehr wohl auch ihre Vorteile hat.

Wenn man

  • ..sich erst mal dahin gehend motiviert hat, ohne aggressiv zu werden mitzutrappeln in einem Haufen von Menschen, die einem sehr unterschiedlich sympathisch sind und vor allem mit sehr unterschiedliche Gehtempi
  • …sich damit abgefunden hat, oft genau dann weiter gehen zu müssen, wenn man gerne noch einen Kaffee trinken würde – oder stehen bleiben zu müssen, obwohl man gerne weiter gehen würde um einen Kaffee zu trinken

….dann kann man sehr interessante Dinge erfahren, die man sich sonst mühsam erlesen müsste. Zum Beispiel, dass Graf Dracula eigentlich zu Bukarest gehört, dass er kein Blut getrunken hat und es eigentlicht gut mit den Untertanen meinte, aber ziemlich brutal darin war, sie zu Redlichkeit und Ehrlichkeit zu bringen, dass man ihn deshalb den Pfähler nannte. Sagt doch alles, oder?

Auch die noch nicht so weit zurück liegende Geschichte dieses Landes wird mit einheimischer Begleiter viel anschaulicher, weil sie zumindest aus den Erzählungen ihrer Eltern berichten. Man versteht dann, warum das Land immer noch arm ist, warum Wohlstand für die meisten nur in den Städten geschehen kann. Aber das mag ich jetzt nicht alles aufschreiben.

Vielleicht noch einen Witz, einen von vielen den die rumänischen ReiseleiterInnen erzählt haben. Hat auch etwas mit der Vergangenheit zu tun. Schimpfen durfte man ja nicht über den Ceaușescu-Clan, aber ganz leise Witzchen erzählen, welche die triste Situation mit etwas Galgenhumor beschrieben: Nicolae flog mit seiner Elena im Hubschrauber über sein Bucarest. „Was sind denn das für Linien überall da unten“, wollte Elena plötzlich wissen: „Haben wir so viel Flüsse?“ „Nein, das sind die Menschenschlangen vor den Geschäften“. —— Und warum waren zu Ceaușescu-Zeiten die Geschäfte so weit auseinander? Damit die Menschenschlangen davor Platz haben.

Etwas ganz besonderes war dann noch ein zusätzlicher Abstecher des Busfahrers durch ein kleine Ansiedlung. Erst am Ende der Straße habe ich bemerkt, dass ich bei meinem Handy zwar auf Film geschaltet habe, aber dann nicht gestartet. Sehr schade. Man hätte einen Straßenabschnitt gesehen, ein paar hundert Meter lang, wo auf beiden Straßen so richtig protzig verschnörkelte Häuser stehen, voller Erker, mit Marmor und anderem edlen Stein, manche offensichtlich schon viele Jahre „in Bau“.  Hier wohnen die reichen Zigeuner. Ja, es gibt sie, die reichen Zigeuner. Und ja, man darf Zigeuner sagen. Sie nennen sich selbst so. Und die Tatsache, dass es sie gibt, bedeutet nicht, dass viele Roma und Sinti in sehr tristen Verhältnissen leben. Auch hier hat Diamant einiges erzählt.

(Nachtrag: Habe noch einen Link zu den Zigeunerschlössern gefunden: http://www.nationalgeographic.de/reportagen/die-reichen-roma )

Wen wundert es, dass wir nach dieser Fülle von Eindrücken und weiteren zwei Stunden Fahrt zu unserem Schiff einfach nur noch sitzen wollten und essen und Wein trinken und uns freuen, dass die Sonne einmal mehr Stimmung macht.

Der nächste Tag wird sicher gemütlicher.

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